Der Baumeister Otto Königer lebte und arbeitete 1885 bis 1932 in Halle. Bekannt wurde er durch den großen Umbau des Bahnhofs Halle, als Fachautor und als Mitinhaber eines der wichtigsten Architektur- und Ingenieurbüros Deutschlands in den Jahren um 1900.
Königer wurde am 11.02.1854 in Darmstadt geboren als Sohn eines Offiziers der großherzoglich hessischen Armee, der 1866 im innerdeutschen Krieg um die Vorherrschaft zu Tode kam. Otto Königer studierte Bauingenieurwesen mit dem Ziel, preußischer Baubeamter zu werden. 1876 bestand er die Bauführer-Prüfungen und 1880 die Baumeister-Prüfungen. Er zählte jeweils zu den Besten seines Jahrgangs und wurde mit Geldprämien für Studienreisen ausgezeichnet. Im Frühjahr 1881 bereiste er England. Im Juli 1881 heiratete er Thekla von Vultejus (1857 - 1909). 1882 veröffentlichte das Zentralblatt der Bauverwaltung, eine Art Amtsblatt des Preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten, Königers „Bemerkungen über deutsche und englische Eisenbahneinrichtungen“. Der fachlich anspruchsvollere Reisebericht „Neuere Anlagen und Bauausführungen auf englischen Eisenbahnen“ mit einigen zeichnerischen Darstellungen erschien 1884 in der Zeitschrift für Bauwesen, einem anderen Publikationsorgan des Preußischen Ministeriums, „mitgeteilt von Herrn Regierungs-Baumeister Königer in Magdeburg“.
Ab April 1885 war Königer beim Umbau des Bahnhofs Halle tätig, als Vertreter des Vorstehers der Eisenbahn-Bau-Inspektion Halle und Leiter der Abteilung Ingenieurbau. Der Stellenplan der Bauinspektion von 1890 ist im Bild 3 des Beitrags über Friedrich Peltz zu sehen. Die Neugestaltung des Bahnknotens Halle erfolgte zwischen 1880 und 1892. Bild 1 enthält 3 Ausschreibungsanzeigen. Königer wurde 1889 zum Eisenbahn-Bau- und Betriebsinspektor ernannt und nach der Eröffnung des neuen Personenbahnhofes Halle im Oktober 1890 zum Vorsteher der Bauinspektion.
Mindestens ebenso bedeutsam für Königer war ein anderer Fakt. Der Stuttgarter Professor Gustav Breymann (1807 - 1859) hatte zwischen 1849 und 1854 die Allgemeine Baukonstruktionslehre in 3 Bänden (Stein, Holz, Metall) veröffentlicht – ein verbreitetes Standardwerk, das nach Breymanns Tod von anderen Fachautoren fortgeschrieben wurde. 1890 erschien die 5. Auflage von Band 3 „Die Konstruktionen in Eisen“, neubearbeitet von Otto Königer. Bild 2 enthält eine Buchbesprechung.
1892 veröffentlichte die Zeitschrift für Bauwesen Königers Aufsatz „Die eiserne Kuppel über der Haupthalle des neuen Empfangsgebäudes in Halle a. S.“, in dem er mit Hilfe vieler Abbildungen Anforderungen, Konstruktionsdetails, statische Berechnung, Ausführung und Kosten erläuterte, siehe Bilder 3 und 4. Im gleichen Jahr erschien der Sammelband „Leipzig und seine Bauten“, mit einem Beitrag von Königer zum Magdeburger Bahnhof in Leipzig. 1893 veröffentlichte die Zeitschrift für Bauwesen umfangreiche Aufsätze zum Bahnhofsumbau Halle, ohne Autorenangabe.
Im Frühjahr 1891 unterstützte Königer das städtische Eisenbahnprojekt einer Verbindungsbahn vom hallischen Thüringer Güterbahnhof zum Sophienhafen an der Saale mit Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit. Im September 1892 kandidierte Königer bei der Wahl des Stadtbaurats von Halle. Im ersten Wahlgang belegte Königer mit 17 von 50 Stimmen den 2. Platz. Im zweiten Wahlgang entschieden sich die Stadtverordneten mehrheitlich für Ewald Genzmer (1856 – 1932), bis 1904 Stadtbaurat von Halle, später Professor in Danzig und Dresden, beerdigt in Halle auf dem Stadtgottesacker. Die 1904 fertiggestellte Genzmerbrücke über die Saale trägt seinen Namen.
Im Februar 1893 wurde bekannt, dass Königer seine Beamtenlaufbahn bei der Staatseisenbahn aufgibt, um zum 01.04.1893 bei der Hallischen Firma Knoch & Kallmeyer 3. Gesellschafter (Mitinhaber) und Leiter der neugebildeten Abteilung Tiefbau zu werden. Weiterhin führte er die Titel Regierungs-Baumeister und Eisenbahn-Bau- und Betriebsinspektor, mit dem Zusatz „a. D.“.
Reinhold Knoch (ca. 1855 - 1930) und Friedrich Kallmeyer (ca. 1854 - 1929) waren anfangs in Berlin beruflich tätig. 1883 wurden beide zu Regierungs-Baumeistern ernannt und beteiligten sich an einem viel beachtenden Architektenwettbewerb für den Neubau des Stadttheaters Halle. Das Preisgericht wählte unter den 60 eingereichten Entwürfen drei für eine weitere beschränkte Runde aus. Vor der finalen Entscheidung eröffneten Knoch und Kallmeyer im März 1884 in Halle ein Atelier für Architektur und Bauausführungen. Im Theaterwettbewerb landeten sie am Ende auf dem undankbaren zweiten Platz. Aber sie konnten sich trotzdem in Halle etablieren und bekamen andere Aufträge für Entwurf und Bauleitung von Hochbauten, darunter:
Im März 1893 stellte sich das Architekturbüro K&K neu auf als offene Handelsgesellschaft unter dem Namen „Knoch & Kallmeyer, Technisches Büro für Hoch- und Tiefbau“. Unter Tiefbau verstand man seinerzeit alles, was nicht zum Hochbau zählte - Erdbau, Wasserbau, Brückenbau, Rohrleitungsbau und vor allem Eisenbahnbau. Zusammen mit der fachlichen erfolgte eine Aufweitung der wirtschaftlichen Verantwortung. Bei Hochbauten übernahm K&K wie bisher in der Regel Entwurf und Bauleitung. Bei Tiefbauten agierte K&K jedoch oft als Bauunternehmen. Die Hallische Hafenbahn AG übertrug der „Baufirma Knoch & Kallmeyer“ im März 1893 die vollständige Herstellung der Verbindungsbahn zwischen Thüringer Bahnhof und Sophienhafen.
Zu jener Zeit war eine Anbindung an das Eisenbahnnetz für die Entwicklung von Industrie und Handel unverzichtbar. Entsprechend groß war der Bedarf an lokalen Nebenbahnen im Flächenland Preußen, den die Staatsbahn nicht erfüllen konnte und wollte. Der Bau und der Betrieb von Eisenbahnstrecken durch Privatunternehmen wurde durch das Preußische Kleinbahngesetz vom Juli 1892 wesentlich erleichtert. Bis 1914 wurden über 300 Kleinbahnen mit insgesamt etwa 10.000 km Streckenlänge in Betrieb genommen.
Die Stadt Halle und die Handelskammer hatten sich seit langem für eine Gleisverbindung vom Staatsbahnhof Halle über die Industriestandorte am südlichen Stadtrand zum Sophienhafen an der Saale eingesetzt, mit dem Fernziel einer Verlängerung bis Hettstedt. Bis zum Frühjahr 1891 war eine etwa 5 km lange Eisenbahnstrecke vermessen und trassiert. Im April 1892 wurde zwecks Finanzierung eine Hallische Hafenbahn AG mit städtischer Beteiligung gegründet. Das Projekt drohte jedoch trotz baupolizeilicher Genehmigung am Widerstand von Grundeigentümern und des Hallischen Vereins für Braunkohlenbergbau zu scheitern. Die gemäß Eintrag in das Handelsregister „nicht dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahn“ sollte über Braunkohlefelder mit Abbaurechten führen. Im Kern ging es um frei verhandelbare Grundstückspreise und nicht finanzierbare Abfindungsforderungen. Im November 1892 wurde die Unterstellung der geplanten Verbindungsbahn unter das neue Preußische Kleinbahngesetz beantragt. In § 1 des Gesetzes steht: „Kleinbahnen sind die dem öffentlichen Verkehr dienenden Bahnen ….“. Nach der grundsätzlichen Genehmigung im Januar 1893 und der Bewältigung der nach dem Kleinbahngesetz erforderlichen Regularien konnten die im Vorjahr aufgekommenen Schwierigkeiten überwunden werden.
K&K erstellte die noch fehlenden Konstruktionspläne. Im Sommer 1893 begannen die Erdarbeiten auf der Saaleinsel Pulverweiden und die Herstellung der Widerlager für die Saalebrücke. 1894 wurde ein eiserner Linsenträger mit 58,4 m Stützweite, unten liegender offener Fahrbahn und einem Fußgängersteg auf der Nordseite für die öffentliche Nutzung hergestellt. Die erste Zugfahrt auf der normalspurigen Bahnstrecke fand am 09.01.1895 statt. Bis April 1895 wurden in der Turmstraße 1,2 km Schmalspurgleis mit 1000-mm-Spur zwecks Anschluss diverser Industriebetriebe hergestellt. 1900 wurde unter der Leitung von Otto Königer nahe der Saale ein 1,2 km langes Anschlussgleis mit 4 Brücken bis zur Böllberger Mühle gebaut.
Bild 5 zeigt Königers Entwurf von 1894 einer genieteten, eisernen Brücke der Hafenbahn mit oben liegender offener Fahrbahn und 14 m Stützweite. Diese kleine Brücke auf der Pulverweiden nahe der großen Saalebrücke hat inzwischen einen geschweißten Stahlüberbau mit geschlossener Fahrbahn für Fußgänger und Radfahrer. Die Bilder 6 und 7 zeigen den heutigen Zustand der Hafenbahnbrücke über die Saale (im April 1945 gesprengt, Wiederaufbau bis 1948, Einstellung des Bahnverkehrs ca. 1991, bis 2000 Brückenumbau mit Entfernung des seitlichen Gangsteges und Herstellung einer geschlossenen Fahrbahn für den Fußgänger- und Radfahrerverkehr).
Im Frühjahr 1893, der Bau der Hafenbahn war gesichert, wurden die Aktivitäten für eine Halle-Hettstedter-Bahn wieder aufgenommen. In erstaunlich kurzer Zeit gelangen einvernehmliche Trassierung, Finanzierung, Genehmigung und Bauausführung. Bereits am 21.05.1896 wurde die 45 km lange, normalspurige Kleinbahn eröffnet. Auch hieran hatte die Firma Knoch & Kallmeyer - insbesondere Otto Königer – großen Anteil, siehe Zeitungsbericht in Bild 8.
Ab 1893 propagierte K&K den Einbau von Kleineschen Decken, mehrere Varianten von massiven Decken mit eisernen Trägern, gemauerten Ziegelsteinplatten und hochkant gestellten Bandeisen in den Fugen, benannt nach dem Erfinder Johann Kleine, 1892 zum Patent angemeldet. Am 01.06.1893 führte K&K vor ausgewähltem Publikum im Neubau Große Steinstraße 78 (später Lippertsche Buchhandlung, Antiquariat) eine eindrucksvolle Belastungsprobe durch. Fortan wurden in vielen Bauten von K&K in allen Etagen Kleinesche Decken eingebaut. Zuvor hatte man in der Regel über dem Keller eine massive Kappendecke und über den anderen Geschossen Holzbalkendecken ausgeführt. Bild 9 enthält 3 Zeitungsausschnitte zu dieser Thematik.
Zum Aufgabenspektrum der Firma K&K gehörten auch Wertermittlungen von Grundstücken und Immobilien. Bis 1909 erfolgten über 900 Expertisen. Knoch-Kallmeyer-Taxen waren begehrt als Absicherung von Hypotheken. Friedrich Kallmeyer schätzte als Sachverständiger im Auftrag der Stadt Halle den Wert von Grundstücken und von Teilgrundstücken für erforderliche Verbreiterungen von Straßen ein. Seine Gutachten spielten in einigen Gerichtsverfahren über Enteignungen eine wichtige Rolle. K&K platzierte bis etwa 1910 in Hallischen Zeitungen viele Verkaufsanzeigen für bebaute und noch unbebaute Grundstücke (Baustellen), im Auftrag der Eigentümer oder in eigenem Auftrag. K&K schaltete viele Vermietungsanzeigen und war auch als Hausverwaltung tätig.
Die drei in der Stadt Halle angesehenen Gesellschafter der Firma K&K engagierten sich in der Kommunalpolitik als Stadtverordnete, Reinhold Knoch 1891 – 1892, Otto Königer 1894 – 1898 und vor allem Friedrich Kallmeyer 1904 – 1907 sowie 1912 – 1919. Knoch war 1885 – 1918 Lektor für landwirtschaftliche Baukunde an der Universität Halle-Wittenberg mit regelmäßigen Vorlesungen und 1890 – 1902 Vorsitzender des Kunstgewerbevereins.
1894 erwarb K&K ein großes Grundstück an der Ecke der Magdeburger zur Halberstädter Straße. In Zusammenarbeit mit mehreren Geldgebern entstanden zunächst 3 Wohn- und Geschäftsgebäude an der Magdeburger Straße mit zeittypischen, prachtvollen Fassaden. Besonders imposant wurde das Eckgebäude gestaltet, siehe Bild 10. Das Knoch-Kallmeyer-Haus, Magdeburger Straße 49, Eigentümer Knoch, Kallmeyer und Königer, war ab Januar 1895 Sitz der Firma K&K. Das Erdgeschoss wurde vermietet, ebenso einige Wohnungen. Im II. und III. Geschoss befanden sich die Büros der Firma, die entsprechend Bedarf vergrößert oder reduziert wurden.
1897/98 finanzierte und errichtete K&K etwa am früheren Standort des Ulrichtors ein Gebäude mit übergroßen verglasten Schaufensterportalen und sehr reichlicher Baukunst. Der eigenartige, extravagante Bau und mit seinen vielen sehenswerten Details bekam um 1900 deutschlandweite Aufmerksamkeit und fasziniert den Betrachter auch heute noch, siehe Bilder 11 & 12. Die Gestaltung wird teilweise Otto Schnartz zugeschrieben, einem jungen Architekten aus München, der zu jener Zeit bei K&K angestellt war. An den bautechnischen Lösungen mit einem eisernen Tragwerk war mit Sicherheit Otto Königer maßgeblich beteiligt. Bis 1920 blieb das Haus Große Ulrichstraße 33/34 Eigentum von K&K. Über 50 Jahre diente es der legendären Delikatessen- und Weinhandlung Pottel & Broskowski als Domizil. Der Bau ist auch als das Jugendstilhaus von Halle bekannt und beherbergt derzeit u. a. eine hier gut platzierte Sushi-Bar.
1898 erwarb und bezog Königer das neue Wohn- und Geschäftshaus Bernburger Str. 28c. Verkäufer war der auswärtige Investor Hecker, mit dem K&K öfters kooperierte. Für Entwurf und Bauleitung des Hauses war K&K verantwortlich gewesen. Heute sind das frühere Wohnhaus von Otto Königer (seit 1901 Nr. 31) und das gleichzeitig erbaute Nachbarhaus Nr. 30 Baudenkmale. Markant sind vor allem die Otto Schnartz gestalteten Eingangsportale und die schmiedeeisernen Dachgesimsträger der beiden Häuser, siehe Bilder 13 & 14.
Außer den schon genannten Bahnstrecken projektierte und baute die Baufirma K&K viele weitere Kleinbahnen und Anschlussgleise. Im Auftrag der Königlichen Eisenbahndirektionen Frankfurt am Main, Saarbrücken, Königsberg und Halle erfolgten die Vorarbeiten für zahlreiche Nebenbahnen, beispielsweise für die Strecke Bitterfeld – Zörbig – Stumsdorf.
Bild 15 zeigt eine auffällige Eisenbahnbrücke über die Straße zwischen Eisleben und Wimmelburg. Bild 16 enthält einen zur Ausführung genehmigten Plan dieser „Brücke über die Böse Sieben und die Chaussee nach Sangerhausen“, von Königer am 18. Mai 1900 unterschrieben. Unter dem Stichwort „Millionenbrücke Eisleben“ sind im Internet diverse Fotos und Infos zur Geschichte des Bauwerks zu finden. Die Brücke wurde 1900/01 für eine am Bahnhof Eisleben beginnende Anschlussbahn zur Krughütte errichtet und war ursprünglich ein Viadukt mit 5 gemauerten Gewölben. Die Absenkung eines Mittelpfeilers führte zum Bruch des 3. Gewölbes, welches 1926 durch einen Stahlüberbau ersetzt wurde. Weitere Brückenschäden durch Anhydritauslaugungen im Untergrund erforderten zusätzliche Sanierungsmaßnahmen, bei denen das nördlichste Gewölbe geschlossen und das nächste beidseitig mit fensterartigen Öffnungen zugemauert wurde. Die Straße quert die Brücke seit langem abweichend von der alten Zeichnung im 3. Brückenfeld, siehe Bild 17. Der Anschlussbahnverkehr endete 1990.
1902 veröffentlichte Otto Königer die 6. Auflage von Breymanns Baukonstruktionslehre Band 3 „Die Konstruktionen in Eisen“. Unter Berücksichtigung der inzwischen neu gewonnenen Erkenntnisse erläuterte Königer das Fachwissen seiner Zeit auf 572 Seiten mit 1290 Abbildungen, vielen Berechnungsformeln und Tabellen. Gezeigt werden grundlegende Konstruktionsdetails, selbst bearbeitete Bauentwürfe (u. a. Kuppel Bahnhof Halle) und Lösungen anderer Baumeister (u. a. Bahnsteighallen Dresden Hauptbahnhof, Dach Stadttheater Halle, Kuppel Reichstagsgebäude Berlin). Die damaligen Deckenbauweisen einschließlich der Kleineschen Decke werden erläutert und dargestellt. Die Bilder 18, 19 & 20 zeigen Auszüge aus einem Nachdruck des Buches von 1993.
In der Hochphase der Firma Knoch & Kallmeyer, die etwa bis zum 1. Weltkrieg andauerte, wurden zahlreiche, oft sehr repräsentative Hochbauten von Knoch, Kallmeyer und angestellten Architekten entworfen, und mit Hilfe vieler weiterer Mitarbeiter die Ausführung geleitet, hier eine Auswahl:
Ein besonders ergiebiges Aufgabengebiet war der Kasernenbau in ganz Preußen. Bis 1909 war K&K für Planung und Bauleitung von Kasernen an 25 Standorten mit über 400 Gebäuden verantwortlich. In Halle entstanden im Auftrag der Stadt 1891/1895 Militärbauten an der Dessauer Straße (Paracelsusstraße) und 1899/1901 die Artilleriekaserne an der Merseburger Straße.
Zu den weiteren Aufgaben der Firma Knoch & Kallmeyer zählten Bauten für Landwirtschaft und Industrie, Straßen, Abwasser- und Trinkwassernetze, eine 100 km lange Laugenleitung, Kaianlagen, Wasserwerke, Anlagen zur Landentwässerung und Brücken, meist als Zubehör anderer Projekte.
Als 4. Gesellschafter von K&K wurde 1907 der Civil-Ingenieur Eilert Fougner (ca. 1868 - 1919) ins Handelsregister eingetragen; er gehörte bereits seit etwa 1900 zur Firma mit zunehmenden Führungsaufgaben, vor allem in den Bereichen Kanalisation und Rohrleitungsbau.
Ab 01.10.1907 übernahm Julius Kallmeyer (1875 - 1945), ein Neffe des erkrankten Friedrich Kallmeyers, von der preußischen Bauverwaltung für 6 Monate beurlaubter Regierungs-Baumeister und Architekt, wirtschaftliche Führungsaufgaben bei K&K und die Leitung des Zeichensaals. Im Januar 1908 bat er um die Entlassung aus dem Staatsdienst und wurde der 5. Gesellschafter.
Knoch & Kallmeyer zählte um 1900 zu den größten Baubüros Deutschlands. Zum Zeitpunkt des 25-jährigen Firmenjubiläums im März 1909 hatte die Firma 70 „Beamte“; als früheres Maximum wurde die Zahl 110 genannt. Nicht mitgezählt wurden wahrscheinlich sonstige Angestellte und Lohnarbeiter, die nur nach Bedarf zeitweilig beschäftigt wurden. Der Einsatz von Arbeitskolonnen aus den Ostprovinzen Preußens, Italien, Kroatien usw. war damals gängige Praxis.
Im Dezember 1909 wurde in Halle eine Ortsgruppe Sachsen-Anhalt des Bundes Deutscher Architekten gegründet, Vorsitzender Friedrich Kallmeyer. Das Aufgabenprofil der Architekten hatte sich verändert. Direkte Grundstücksgeschäfte gehörten nicht mehr dazu. K&K beschritt allerdings einen Sonderweg und gründete 1910 zusammen mit anderen Geldgebern eine „Aktiengesellschaft für Grundstücksverwertung Halle a. S.“, im Vorstand Julius Kallmeyer, im Aufsichtsrat Friedrich Kallmeyer. Neuere Architekturströmungen wendeten sich vom bisher vorherrschenden Historismus und auch vom Jugendstil ab. 1911/12 wurden auf einem von der Grundstücks-AG erworbenen Areal nahe der Pauluskirche 5 zwei- bis dreigeschossige Wohnhäuser in „Reformarchitektur“ errichtet, Entwurf Julius Kallmeyer, heute Rathenauplatz 1-5. Der Firmenname wurde 1911 im Handelsregister korrigiert in „Knoch & Kallmeyer, Architekten und Ingenieure“.
Ein 6. Gesellschafter fand kurze Zeit nach dem Firmeneintritt im 1. Weltkrieg den „Heldentod“. Während des Krieges meldeten die Hallischen Zeitungen nur wenige Aktivitäten von K&K. 1915 begann die „Baufirma Knoch & Kallmeyer“ bei Burgliebenau mit Erdarbeiten für eine Flutrinne zum wasserfreien Kohleabbau im Auengebiet; 1916 wurde eine Brücke über die Flutrinne gebaut. Aus späterer Zeit sind keine Beauftragungen von K&K als Bauunternehmen bekannt.
Reinhold Knoch schied im Juli 1915 als Gesellschafter aus. Friedrich Kallmeyer verließ die Firma im Februar 2017. Der Firmenname blieb zunächst unverändert. 2019 kam Eilert Fougner während einer Dienstreise durch einen Unfall ums Leben. Ab 1920 nannte sich die Firma „Königer & Kallmeyer, Architekten und Ingenieure“. Gemäß Anzeige am 01.01.2022 in der Saalezeitung wurde der Regierungs-Baumeister a. D. und Architekt Wilhelm Facilides (1882 – 1963) 3. Teilhaber des Büros, unter Beibehaltung des Firmennamens.
Bereits vor dem Weltkrieg engagierte sich Friedrich Kallmeyer für den Siedlungsbau mit Gärten für Menschen mit geringem Einkommen und Vermögen in den Randbereichen von Halle sowie in den angrenzenden Gemeinden. K&K erstellte hierfür mehrere Bebauungspläne. Im Krieg ruhte der Wohnungsbau weitgehend, und die Linderung der Wohnungsnot entwickelte sich zu einem der dringendsten gesellschaftlichen Anliegen. Im April 1918 wurde der Bauverein Gartenstadt Halle, Genossenschaft m.b.H. gegründet, unter maßgeblicher Beteiligung von Julius Kallmeyer, der anfangs auch im Vorstand tätig war. Zweck der gemeinnützigen Baugenossenschaft war es, im Süden von Halle kostengünstige Kleinwohnungen mit zugehörigen kleinen Gärten zu schaffen. 1921/22 übertrug der Bauverein Königer & Kallmeyer Entwurf und Bauleitung für die Errichtung von Mehrfamilienhäusern in der Hübnerstraße (heute Anton-Russy-Straße) und in der Riedelstraße (heute Robert-Mühlpforte-Straße) mit insgesamt etwa 60 Wohnungen.
1919 wurde Julius Kallmeyer zum Vorsitzenden des Bezirkes Sachsen-Anhalt des Bundes Deutscher Architekten gewählt. Etwa von 1921 bis 1935 befand sich im Knoch-Kallmeyer-Haus die Geschäftsstelle des Bezirkes des BDA. 1931 wurde Julius Kallmeyer in den dreiköpfigen Bundesvorstand des BDA gewählt, dem er turnusgemäß bis Herbst 1933 angehörte.
1918 übernahm Julius Kallmeyer von Reinhold Knoch die Lektorenstelle für landwirtschaftliche Baukunde an der Universität, eine bezahlte Nebentätigkeit, die er bis mindestens 1943 ausübte. Mit Aufträgen aus dem weiteren Umland und aus dem Bereich des Industriebaus konnte K&K die schlechte Auftragslage nach dem 1. Weltkrieg überbrücken. Das Büro hatte in den 1920-er Jahren nur noch wenige feste Mitarbeiter.
1926 ließ der Bauverein Gartenstadt Halle in der hallischen Roßbachstraße dreigeschossige Gebäude mit insgesamt 24 Wohnungen errichten – Nr. 11 für 6 Familien, Nr. 12 & 13 als Doppelhaus für 12 Familien und Nr. 14 für 6 Familien. Diese von Julius Kallmeyer entworfenen Bauten erklärte der Bauverein zu „Typenhäusern“ und übertrug K&K die Erstellung von wesentlich vereinfachten Antragsunterlagen für die Baugenehmigungen von 12 Wohngebäuden mit insgesamt 144 Wohnungen in der Huttenstraße (heute in der Pestalozzistraße) 1926/27 wurde an der Ecke Neunhäuser / Brüderstraße von K&K im Auftrag von Arthur und Franz Ebermann, Inhaber der Firma Schnee, ein Neubau errichtet und durch Umbauten an den von Knoch & Kallmeyer 1886 und 1896 entworfenen Gebäuden Große Steinstraße 84 und Brüderstraße 2 ein großzügiger Kaufhauskomlex Schnee geschaffen, der in der Presse sehr positiv beurteilt wurde. Weitere Umbauaufträge für Geschäftsgebäude im Stadtzentrum von Halle folgten.
Ende 1926 verließ Otto Königer die Firma, die sich fortan Kallmeyer & Facilides nannte. Königer eröffnete in der Bernburger Straße 31 ein Büro als Beratender Bauingenieur und Vereidigter Sachverständiger des Landgerichts Halle mit einem umfangreichen Leistungsangebot (u. a. Aufstellung und Prüfung von Entwürfen, Einleitung und Überwachung von Bauausführungen). Ein markantes Aufgabengebiet sollte noch dazukommen. Gemäß Erlass des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 03.12.1926 betreffend Prüfungsverfahren für schwierige statische Berechnungen sollten externe Fachleute überforderte Baubehörden entlasten. Ein besonderes Antrags- und Zulassungsverfahren wurde 1927 entwickelt. Erst im Adressbuch 1930 steht Königer als Prüfingenieur für Statik gemäß Erlass vom 03.12.1926. In diesem Adressbuch ist auch der Diplomingenieur Fritz Königer (1895 - 1957, ein Sohn des Seniors) in der Bernburger Straße 31 gemeldet, mit einem Ingenieurbüro für Bauwesen und Statik (Aufstellung von Entwürfen, statische Berechnungen, Bauleitung). Fritz Königer hatte noch ein Büro, wahrscheinlich in Rössen/Leuna.
Am 08.10.1932 verstarb Otto Königer. Die Familiengrabstätte Königer auf dem Laurentiusfriedhof in Halle bestand im Oktober 2023 noch und ist leicht zu finden (C.11 / 16-17). Fritz Königer gab sein hallisches Büro ca. 1937 auf und verzog nach Leuna. Eigentümer des Hauses Bernburger Straße 31 blieb bis mindestens 1950 eine Erbengemeinschaft Königer.
Kallmeyer und Facilides erhielten zwischen 1927 und 1935 viele Aufträge, stellten aber nur noch auftragsbezogen und befristet neue Mitarbeiter ein. 1933 begann eine neue Zeit. Als renommierte Architekten standen sie im Rampenlicht und konnten sich in keine neutrale Nische zurückziehen. Friedrich Kallmeyer trat im Frühjahr 1933 in die NSDAP ein. Wilhelm Facilides war bereits 1932 Mitglied der NS-Partei geworden. Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und Sympathie für den Nationalsozialismus sind zu vermuten. 1933 wurde Facilides Vorsitzender der Ortsgruppe Halle des Bundes der Architekten. Ab Ende 1933 mussten sich Architekten zusätzlich in der Reichskammer der bildenden Künste organisieren, einem Organ des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Der BDA wurde bis 1935 gleichgeschaltet und bedeutungslos.
Im März 1935 wurde Facilides zum Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste ernannt, mit Dienstsitz in der Hindenburger Straße 55, der Landesstelle Halle-Merseburg des Propaganda-Ministeriums. Die Magdeburger Straße hieß inzwischen Hindenburgstraße. Im Mai wurde er in das 14-köpfige Preisgericht für einen Architektenwettbewerb zur Umgestaltung des hallischen Bahnhofsvorplatzes berufen. Die im Oktober preisgekrönten Entwürfe verschwanden zum Glück in der Versenkung und die Nordfront des Empfangsgebäudes von 1890 mit den beiden Flankentürmen blieb Halle noch 30 Jahre erhalten. Bereits im September hatte Facilides seine „Ehrenämter“ als Landesleiter der RdbK und Vorsitzender der Ortsgruppe des BDA verloren oder aufgegeben. Details sind nicht bekannt. Möglicherweise hatte das NS-Regime den konservativ-bürgerlichen Steigbügelhalter nicht mehr nötig und fallen gelassen oder Facilides hatte seinen Irrtum erkannt. Fortan hatte das Architekturbüro Kallmeyer & Facilides nur noch private Bauherren. Während des 2. Weltkrieges ließ sich Facilides mangels Aufträgen zeitweise von Baufirmen anstellen.
Das 1884 gegründete und mehrfach umgeformte Architekturbüro endete nach 61 Jahren am 6. April 1945, als um 10.00 Uhr vormittags eine amerikanische Fliegerbombe das Knoch-Kallmeyer-Haus traf und weitgehend zerstörte. Julius Kallmeyer starb in seinem Büro.
Wilhelm Facilides arbeitete nach Kriegsende in seiner hallischen Wohnung Landrain 147 unter bescheidenen Verhältnissen wieder als Architekt. Die Firma Schnee, Geschäftsinhaberin war inzwischen Rosa Ebermann, übertrug ihm die Aufnahme der Schäden an ihrem durch Flugzeugangriffe zerstörten Kaufhaus. Relativ unbeschadet hatte nur der Neubau von 1926/27 das Inferno überstanden. 1945/46 erstellte Facilides die Planung für eine provisorische Nutzung der Kaufhausreste mit Wiederaufbau eines kleinen Bereiches an der Brüderstraße. In der späteren sozialistischen Mangelwirtschaft galt das Sportbekleidungsgeschäft Schnee als guter Einkaufstipp. 2006/2007 entstand im Bereich Große Steinstraße / Neunhäuser / Brüderstraße ein großer Gebäudekomplex für die Kaufmännische Krankenkasse unter Einbeziehung und Erhalt von Resten des Kaufhauses Schnee bzw. Ebermann.
Das Knoch-Kallmeyer-Haus wurde vor dem Krieg durch das Architekturbüro und etwa 12 Mieter genutzt bzw. bewohnt. In den hallischen Adressbüchern 1946/47 und 1950 stehen nur noch die Stern-Apotheke und der Apotheker Stobbe. 1957/59 fertigte Wilhelm Facilides die Zeichnungen für den Wiederaufbau des Gebäudes (Bauherr: Erbengemeinschaft Königer & Kallmeyer). Facilides verzichtete bei der Planung auf die ursprüngliche prächtige Gestaltung. Der Eckturm und die zwei teils ausgebauten Dachmansardengeschosse mit zwei zusätzlichen straßenseitigen Giebeln entfielen. Das Haus ist kaum wiederzuerkennen. Zudem gab es mehrfach Adressenänderungen: 1934 wurde die „Magdeburger Straße“ in „Hindenburgstraße“ umbenannt, nach dem Krieg zurück in „Magdeburger Straße“, dann in „Leninstraße“, in „Leninallee“ und nach 1990 wieder zurück in „Magdeburger Straße“. Aus der Hausnummer 49 wurde die 37. Eine erfreuliche Konstante ist die Stern-Apotheke, die circa 1922 in das Erdgeschoss einzog, wo sie auch heute noch zu finden ist.
Welche Bauwerke Otto Königers haben bis heute überdauert - vor allem die eiserne Kuppel des Empfangsgebäudes des Bahnhofs Halle, ebenso die genieteten Bahnsteighallen und Teile der Dachkonstruktion eines Wartesaals. Der östliche Wartesaal wurde 1945 durch eine Fliegerbombe zerstört. 3 alte Dachbinder sind seit dem Umbau 2002 in der Bahnhofs-Lounge wieder sichtbar. Die schmiedeeiserne Dekoration der Untergurte der Dachbinder schmückte einst die gewölbte Decke des westlichen Wartesaals, siehe Bilder 21 & 22. Die genannten Konstruktionen sind in Königers Buch von 1902 dargestellt und erläutert.
Viele andere von Königer entworfene Bahnanlagen wurden inzwischen erneuert oder ersatzlos zurückgebaut. Die noch vorhandenen Trassenabschnitte der Hafenbahn wurden 1996 unter Denkmalschutz gestellt und bis 2015 unter Belassung der Schienen als Fuß- und Radweg ausgebaut, mit der Hafenbahnbrücke über die Saale als herausragendem Einzelbauwerk. Aber es gibt noch andere Relikte aus der Vergangenheit, so westlich von Halle eine dreifeldrige Brücke der Halle-Hettstedter Eisenbahn über das Flüsschen Salza - bei Google als „Schiepziger Viadukt“ zu finden, siehe Bilder 23, 24 & 25. Nur etwa 100 m entfernt überquert die seit über 30 Jahren natürlich begrünte Bahnstrecke Halle – Hettstedt mit einem eisernen Blechträger die frühere Staatsbahntrasse Teutschenthal – Salzmünde, seit ca. 1962 als Weg Zappendorf – Salzmünde genutzt, siehe Bild 26.
Quellen:
Nachbemerkung zu Eisen und Stahl:
Otto Königer unterschied 1902 in seinem Buch vor allem nach dem Kohlenstoffgehalt des Eisens folgende 3 Hauptgruppen: Schmiedeeisen, Stahl und Gusseisen. Für Tragkonstruktionen wurde hauptsächlich Schmiedeeisen verwendet, wobei das neuere, kostengünstige Flusseisen das ältere Schweißeisen auch aufgrund besserer Gebrauchseigenschaften verdrängt hatte. Stahl war zwar gleichfalls schmiedbar, aber zu teuer und spielte im Bauwesen nur eine untergeordnete Rolle. Aber die Eisenmetallurgie entwickelte sich weiter und und einige Jahre später kamen für Eisentragwerke neben Flusseisen auch neue, höher belastbare Stahlsorten zum Einsatz. Der Normenausschuss der Deutschen Industrie beschloss 1924, alles ohne Nachbehandlung schmiedbare Eisen als Stahl zu bezeichnen. Damit wurde das preiswerte Flusseisen zu einer Baustahlsorte. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Begriff „Eisen“ nach und nach durch „Stahl“ ersetzt: Aus Eisenträger wurde Stahlträger, aus eiserne Brücke wurde stählerne Brücke, aus Eisenbeton wurde Stahlbeton. Nur die Eisenbahn blieb verschont. Heute werden auch vor 1924 erstellte Bauwerke und Tragwerke wie die hallische Bahnhofskuppel oder die Hafenbahnbrücke in der Regel als Stahlkonstruktionen bzw. Stahlbrücken bezeichnet.
Alle, denen die einmalige Kuppelhalle des Halleschen Hauptbahnhofs am Herzen liegt und dazu einen Beitrag leisten möchten, dass die beiden Rundtürme wieder aufgebaut werden, sind aufgerufen, aktiv mitzuwirken und/oder durch Spenden das Anliegen des Vereins zu unterstützen.